VINO ROSSO UND ROTER MOHN - Toskana 2018 - Teil 4: Es ist Fett, das reine Fett. Na und?

| 12.07.2018 | | Italy
VINO ROSSO UND ROTER MOHN - Toskana 2018 - Teil 4: Es ist Fett, das reine Fett. Na und?

Denn erstens isst man es nicht jeden Tag. Und zweitens ist sensationell, was sie in der  Toskana aus Speck zu machen wissen. Lardo di Colonnata schmeckt ganz einfach himmlisch.

In Colonnata hört die Welt auf. Nur ein krummes Bergsträßchen kriecht von Carrara herauf in diesen Winkel der Apuaner Alpen. Links und rechts des engen Tals öffnen sich Einblicke in gigantische Marmorsteinbrüche, die sich wie weiß blutende Wunden in die Berge gefressen haben. Für seinen makellosen Marmor ist die Gegend weltberühmt: Schon vor 500 Jahren ließ sich Michelangelo hier oben den blendend weißen "marmo statuario" für seinen "David" aus dem Fels schneiden. Das Sträßchen endet jäh auf der Piazza Palestro, mitten im Dorf. Colonnata, keine 300 Einwohner, klammert sich trutzig auf einen Felsvorsprung, ein verwaistes Schulhaus, enge Gässchen, vor der Dorfkirche ein sperriges Marmor-Monument zu Ehren der "cavatori", den bei ihrer gefährlichen Schufterei umgekommenen Bergarbeitern.

Von der harten Arbeit des Marmorabbaus lebten sie einst alle hier. Heute ernährt der Marmor viele Colonnatesi auf ganz andere Weise: In den kühlen Felsenkellern ihrer Häuser haben sie alle noch mindestens eine "conca" (sprich: konka) stehen. Eine schmale Truhe aus feinstkörnigem Marmor - einen Meter hoch, einen Meter breit, eineinhalb Meter lang. In diesen zierlichen Sarkophagen ruht gut sechs Monate lang, was Gourmets in aller Welt reflexartig den Mund wässrig macht: zartester, schneeweißer, in, unter und zwischen Meersalz, Kräutern und Gewürzen gereifter Schweinespeck - der "Lardo di Colonnata".

 

SCHUTZPATRON DER FEINSTEN DELIKATESSEN
 

Da macht es Sinn, dass sich das nordtoskanische Dorf schon länger vom Schutzheiligen der Bergwerker ab- und demjenigen der Metzger zugewandt hat. Sankt Bartholomäus jedenfalls sei Dank - und Fausto Guadagni! Denn ob es nun die Himmelsmacht des Santo war oder die zornige Zähigkeit des bekanntesten "lardaiolo" am Ort: Die beiden Herren haben für Schutz und Erhalt einer der feinsten Delikatessen Italiens gesorgt, der um ein Haar der Garaus gemacht worden wäre - durch den Irrsinn weltfremder EU-Hygienerichtlinien ebenso wie durch dreiste Plagiate aus industrieller Massenfertigung.

Guadagni, 50, durchfurcht sich heute noch die früh ergrauten Haare, wenn er an jenen Überfall der Carabinieri an einem Herbsttag 1996 denkt: "Sie hielten mir die Brüsseler Beschlüsse vor die Nase: Weil wir keine gefliesten Räume und keine Toilette in unserem Keller hatten, haben sie uns den Laden dichtgemacht." Dabei hatte Guadagni gerade erst begonnen mit der gewerbsmäßigen Produktion einer Spezialität, die bis dato eher Privatsache war in Colonnata. Die Kalorienbomben aus dem im Herbst gemetzgerten Hausschwein, die da in der familieneigenen "conca" übers Jahr reiften, waren die traditionelle Kraftnahrung der Männer bei ihrer körperlichen Schwerstarbeit im Steinbruch: Zu Mittag säbelten sie sich dicke Speckscheiben aufs Brot, kauten lange, spülten mit einem Schluck Rotwein nach und kletterten dann gestärkt zurück in den Fels.

 

ORIENTALISCHER GEWÜRZBASAR UND MEDITERRANER KRÄUTERGARTEN


Guadagni, Sohn alteingesessener Wirtsleute, hatte das kulinarische Potenzial des Lardo als einer der Ersten erkannt - mitsamt der Verantwortung, die Handvoll Geheimnisse zu wahren, die seine Güte garantieren. Deshalb beugte er sich zähneknirschend den EU-Schikanen, und als Kacheln und WC ordnungsgemäß installiert waren, legte er 1997 so richtig los im kargen Nachkriegsbau an der Via Comunale. Schon draußen vor der Tür steigt einem dieser eigenwillige Duft nach Wurstküche, nach orientalischem Gewürzbasar und mediterranem Kräutergarten in die Nase. Er wabert in den Gassen Colonnatas, als wären die Hausmauern damit imprägniert. Produziert wird in der Schlachtzeit, von Oktober bis April. Dann fährt Fausto Guadagni mit dem Lieferwagen einmal die Woche in sein bevorzugtes Schlachthaus im vier Autostunden entfernten Mantua, wo er sich mit dem Rückenspeck der mächtigen Hybridschweine des Typs "Large White" eindeckt, immerhin aus lokaler Freilandaufzucht. Dort sucht er sich seine "spallotti" - so heißen die Rückenhälften von der Unterkante der Schulter bis zur Oberkante des Schweinepopos - direkt am Fließband aus und lässt sie noch vor Ort zerlegen: 30 mal 40 Zentimeter groß und gut 5 Zentimeter hoch müssen die Stücke sein. Bis auf einen millimeterdünnen, zartrosafarbenen Streifen der Schulter wird alles Fleisch und das wabbelige Innenfett abgeschält, die Schwarte mit Spezialfeilen gesäubert.

Die makellos weißen Fettquader, jeder etwa sechs Kilo schwer, ruhen wenige Stunden später bereits in Guadagnis kühlem Kellerverlies: Nur wenn der Speck taufrisch ist, lässt er sich gut kneten und nahtlos in die Truhen pressen - das erste Geheimnis eines tadellosen Lardo. Je enger die Stücke gepackt sind, je hermetischer sie sich aneinander und an die Marmorwände schmiegen, desto besser die Reifung. Geheimnis Nummer zwei, das sind die Kräuter- und Gewürzmixturen, die mit in die "conca" kommen und deren individuelle Rezepturen von den Familien in Colonnata gehütet werden als wären es die von Coca-Cola. Als Allgemeingut, verrät Guadagni immerhin, gilt eine Grundmischung aus Zimt, Nelken, Koriander, schwarzem Pfeffer, Stern-Anis, Kardamom, Fenchel- oder Dillsamen sowie Berge frischer Rosmarinbüschel, Salbeiblätter und gehobelter Knoblauchzehen. Lagenweise werden die zuvor in reichlich handgeschöpftem Salz gewälzten Specktafeln dann im Wechsel mit üppigen Schichten aus Kräutern und Gewürzen in den Steinsarg gebettet. 300 Kilo Speck lagern am Ende in jedem Behälter unter schwerer Steinplatte, übers Jahr reifen so 200 Doppelzentner Lardo in Guadagnis Keller. 

SPANNUNG, ALS ÖFFNETE ER EIN PHARAONENGRAB

 

"Ganz wichtig", erklärt Fausto und zerrt seine Plastikschürze zurecht, "ist natürlich der Marmor." Lardo-Geheimnis Nummer drei. Nur feinste Körnung von glasharter Konsistenz des Typs Canaloni darf es sein: Als idealer thermischer Behälter lässt er den Speck atmen und nur überschüssiges Salz austreten, nicht aber die wichtige "salamoia": Die Lake entsteht im Verlauf der ersten Wochen, in denen das Salz in den Speck eindringt und dort als Porenöffner für das Aromen-Potpourri agiert. Dabei vermischt es sich mit den Säften aus Fleisch und Kräutern und tritt als Flüssigkeit wieder aus. Der Canaloni-Marmor sorgt dabei für die perfekte Konsistenz der Salzlake: Sie verhindert, dass der Speck eine ranzige Ekelnote bekommt. Nach sechs bis acht Monaten ist das Aromawunder vollendet. Wenn Fausto dann den massigen Marmordeckel zur Seite schiebt, ist das eine Spannung, als öffnete er ein Pharaonengrab: Da lagern die edlen Laibe mit ihrem in Salz erstarrten Kräuterbelag - und die Wucht der Düfte, die ihnen entsteigen, raubt einem fast die Sinne.


30 Autominuten von Colonnata am Meer komponiert Sterne-Koch Mauro Riccardi Köstlichkeiten aus Lardo, Fisch und Meeresfrüchten. Gegenüber, in der "Locanda Apuana", die Faustos Schwester Carla führt, werden die ersten Lardi der Saison dann unter kritischem Kauen getestet - eine Zeremonie, die nur noch wenig gemein hat mit der derben Brotzeit der Steinhauer: Aufgeschnitten in Scheiben, die so hauchdünn sind, dass man durch sie noch den Tischnachbarn erkennt, wird der Lardo heute serviert, vorzugsweise auf "bruschetta" oder "crostoni", dem gerösteten, kompakten Hausmacherweißbrot als neutraler Unterlage. Wenn sein zartes Fett dann mit samtenem Schmelz den Mund erfüllt und dabei wie ein großer Wein eine ganze Welt an Aromen entfaltet, herrscht im Gastraum andächtiges Schweigen.Eingriffe in den Reifeprozess des Lardo sind nur gestattet, wenn das Klima es gebietet: In wärmeren Wintern muss gelegentlich Wasser zugegeben werden, um die Lake nicht austrocknen zu lassen. "Das Klima", sagt Fausto, "ist vielleicht unser wichtigstes Geheimnis: So wie hier oben kann ein guter Lardo nirgendwo anders reifen." Nicht unten in Massa und Carrara etwa, auch in Ligurien und der Emilia nicht, überall dort, wo dreiste Fabrikanten bis vor kurzem noch tonnenweise drittklassigen Kräuterspeck produzierten und ihn als "Lardo di Colonnata" zu Schleuderpreisen über in- und ausländische Supermarktketten vertrieben.

 

Als Präsident des Konsortiums der zwölf "lardaioli" von Colonnata führte Guadagni jahrelang einen verbissenen Kampf um den Schutz der heimischen Delikatesse: Erst nach unzähligen Eingaben in Rom und Brüssel und mit dem Rückenwind von Slow Food, die den edlen Speck aus den Apuaner Alpen auf ihre Liste für bedrohte Spezialitäten setzte, erhielt er 2004 schließlich das ersehnte Gütesiegel "geschützte geographische Angabe", kurz "g. g. A.". "Lardo di Colonnata" darf sich heute nur nennen, was auch wirklich aus dem Bergdorf kommt, ohne Konservierungsstoffe und Kühlkammern in sechs Monaten gereift ist und das rote Siegel mit Produktions- und Herkunftscode trägt.So mancher Sterne-Koch lässt bei Guadagni seinen eigenen Lardo in der Privattruhe reifen. Fulvio Pierangelini etwa, dessen Restaurant "Gambero Rosso" im toskanischen Küstenort San Vincenzo zu den besten Lokalen Italiens zählt, experimentiert bei Freund Fausto seit Jahren mit dem Speck einer fast vergessenen Schweinerasse, der Cinta Senese: Den würzigen Rückenspeck der schokobraunen Tiere mit der hellen Schulterzeichnung, die Pierangelini Junior in den Kastanien- und Eichenwäldern im Küstenhinterland züchtet, lässt der Maître von Guadagni mit frischem Lavendel, Myrte und weißem Pfeffer ansetzen; oder auch mal mit geraspelten Peperoni-Schoten, Kapern und frischem Anis. Sein "Lardo di Cinta Senese", als chiffonzarte Bauchbinde um pralle Garnelen gewickelt und auf Kichererbsen-Mousse zelebriert, versetzt Gäste wie Kritikergilde zuverlässig in wahre Entzückenstaumel. 

 

GEFRAGT WIE WEISSER ALBA-TRÜFFEL

 

Obwohl vereinzelt noch gefälschter "Lardo di Colonnata" auf dem Markt ist, haben Fausto und seine Kollegen heute ihr Auskommen: Ihre knapp 150.000 Kilo Jahresproduktion sind gefragt wie sonst vielleicht noch weißer Alba-Trüffel, "und im Vergleich", seufzt Fausto, "mit 14 Euro Kilopreis (2007 !!) noch immer ziemlich günstig, gemessen am Aufwand, den wir treiben". Vor allem in den Sommermonaten pilgern Schlemmerreisende inzwischen in Prozessionsstärke das krumme Bergsträßchen hinauf zum Dorf des Heiligen Bartholomäus. Für die sagenumwobene Köstlichkeit der "lardaioli" von Colonnata gehen sie gern bis ans Ende der Welt.

 

UND WO BEKOMMT MAN DAS? TIPPS VOM SPECKULANTEN: 

Wer keinen Feinkosthändler in der Nähe weiß, kann sich Lardo auch per Post kommen lassen. Zu bestellen über: 

Larderia Colonnata, Fausto Guadagni, Via Comunale4, 54030 Colonnata, Carrara (MS), Italien, tel:+39/0585/768069, Fax: 768017, Email: larderiacolonnata@tiscali.it.

Oder man fährt zu folgenden Lokalen über die Alpen: 
Locanda Apuana, Via Comunale 1, 54030 Colonnata, Carrara (MS), Tel./Fax: +39/0585/ 768017, www.locandaapuana.com 
Locanda delle Tamerici, Via Litoranea 106, 19031 Fiumaretta-Ameglia (SP), Tel: +39/0187/ 64262, Fax: 64627, www.locandadelletamerici.com 

 

(Textauszüge aus STERN ONLINE vom 17.03.2007 - Autorin: Daniela Horvath)


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