ZWEI VERGESSENE ORTE - Lost Places in Berlin 2018
Was ist eigentlich aus fotografischer Sicht so begehrenswert an "LOST PLACES", was sinngemäß „vergessene Orte“ bedeutet? Solche verlassene Plätze haben oft etwas Düsteres, Geheimnisvolles, klebt hier doch die Geschichte von zum Teil Jahrzehnten an den Wänden. Was man von dort mitbringen kann, sind echt beeindruckende Aufnahmen und schaurige Geschichten. Wir wollen es endlich auch mal ausprobieren. Jede Menge Internet-Recherche ist zuhause vorausgegangen. Denn in Deutschland Lost Places jetzt noch zu finden, ist inzwischen echt eine Kunst. Entweder gibt es sie noch, aber sie sind streng bewacht und nicht zu betreten wie z.B. in Berlin das ehemalige DDR-Vergnügungsareal "Der Spreepark". Oder alles ist derart baufällig und verriegelt, dass man nur unter Lebensgefahr dort hineingelangen würde. Oder es wurde tatsächlich weitestgehend kommerzialisiert, wie etwa die Berliner "Beelitz-Heilstätten", die von einem Baumkronenpfad umgeben ist, der von zahlreichen Touristen benutzt wird. Aber wir sind trotzdem gleich zweimal fündig geworden:
DIE UNHEIMLICHE KLINIK
Einige Kilometer nördlich von der Berliner Stadtgrenze liegt Schmachtenhagen, ein Ortsteil von Oranienburg. Mitten im Wald tauchen plötzlich Zäune auf. Dahinter liegt das Gelände einer ehemaligen Klinik. 1896 hat das Rote Kreuz hier die ersten Häuser gebaut. Es war eine Versuchsanlage, die klären sollte, ob Tuberkulose im Flachland zu heilen ist. Sie war allerdings Männern vorbehalten. Durch den ersten Weltkrieg und die Inflation geriet die Lungenheilstätte in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Bis 1918 wurden zudem Kriegsgefangene hier untergebracht. Dank der Entdeckung von Antibiotika wurde Tuberkulose später schneller heilbar: Lange Klinikaufenthalte waren nicht mehr nötig und die Anlagen wurden nicht mehr medizinisch genutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie von 1945 bis 1995 zum sowjetischen Militärlazarett umgewandelt. Das älteste der heute noch rund 30 erhaltenen Häuser ist die Direktorenvilla aus dem Jahr 1903. Sie liegt etwas abseits. Genau wie die jüngsten Häuser: Sowjetbauten. Mit den Soldaten verschwand 1995 auch das Leben aus dem Komplex. Was die Armee nicht schon heruntergewirtschaftet hatte, verfällt seit nunmehr 23 Jahren.
Ein eingezäuntes Areal, direkt am See. Die Blätter rascheln, hier und da schlägt der Wind eine Tür zu. Sonst ist es vollkommen still. Eine gespenstische Atmosphäre, die wohl auch George Clooney angezogen hat. Hier drehten der Hollywoodstar und seine Crew Szenen für den Hollywood-Film „The Monuments Men“.
Und wer nun das rund 34 Hektar große Areal betreten will, muss an Ursel vorbei. Ursel ist eine Kaukasier-Hündin, die Neuankömmlinge nicht gerade schwanzwedelnd empfängt. Ursel bellt. Ursel fletscht die Zähne. Und wir nehmen erstmal einige Meter Abstand. Bis Bernhard Hanke im Hintergrund auftaucht und seinen Hund zur Räson ruft. Hanke verwaltet das Gelände der ehemaligen Lungenheilanstalt. Er war es auch, der George Clooney empfing, als der Mega-Star auf Locationsuche für sein Weltkriegsdrama war.
Das Haus mit der Nummer 1, ein Verwaltungsgebäude mit großem Festsaal. Die Fenster stehen offen, der Boden ist verdreckt. Auf der Bühne steht ein altes kaputtes Klavier, der rote Vorhang hängt nutzlos rum. Was für eine traurige Szenerie! Perfekt für Clooneys Plan.
Seine Filmcrew möbelte den Saal auf und verwandelte ihn zur Filmkulisse. Außenaufnahmen mit viel Staub und rollenden Panzern hat es auch gegeben. Der weitläufige Blick auf den Grabowsee eignet sich dafür ebenso wie der rechteckige Innenhof, um den die Hauptgebäude platziert sind. Das Gelände wird in den letzten Jahren häufig als Kulisse für Film- und Fotoaufnahmen genutzt. 2011 wurde auf dem Gelände die Artbase, ein Kunst und Musik-Festival veranstaltet, 2017 diente es für den Film "Heilstätten" als Location, der in den Beelitz-Heilstätten spielt.
Nachdem uns der Verwalter einen Blatt Papier mit einem Lageplan in die Hand gedrückt hat, stapfen wir alleine los. Wir sind durch fast alle 30 Häuser gelaufen, treppauf und treppab, fast alle jeweils drei Stockwerke hoch. Zerbrochene Fenster. Abbröckelnde Wandfarbe - gleich in mehreren unterschiedlich farbigen Schichten. Geborstene, verwitterte Uralt-Fenster. Nur noch teilweise vorhandene Treppen. Herunterhängende Balken und Gestänge. Nackte, kalte Fliesen in Sanitärräumen und ehemaligen Operationssälen. Super unheimlich. Ein Raum mit einer dicken, roten, zerfressenen Polsterung wie in einer Irrenanstalt. Vergitterte Fenster. Ewig lange Flure. Was hier wohl alles geschehen sein mag.....??!! Und dann plötzlich viele kleine und große Kunstwerke auf dem Boden, in kleinen Zimmern, an den Wänden. Sorgfältig von Jugendlichen aufgebaut und präsentiert.
Als wir uns nach fast 6 Stunden die Füße platt gelaufen hatten, lädt uns der urige Verwalter aus Bayern noch zu einem Bier ein, das zu diesem Zeitpunkt echt dringend notwendig ist. Beim sich anschließenden Gespräch teilt er uns dann mit, dass er große Pläne für die ehemalige Lungenheilanstalt hat, die allerdings nicht gerade preiswert sind. Der gelernte Landschaftsgärtner ist seit 2005 der Kopf der Organisation „Kids Globe e.V.“ unter der Schirmherrschaft von Roman Herzog. Auf dem 35 Hektar großen Gelände will er eine freie Bildungsstätte für Kinder und Jugendliche einrichten. Mit Werkstätten, einem Musikstudio, einer Akademie, Theatersaal und vielem mehr. Der Eigentümer des Geländes, der Hanke seit Jahren großzügig schalten und walten lässt, zeigt sich verkaufsbereit. Einziges Problem: Es fehlt das Geld. „Wir bräuchten allein für den Kauf und das erste Jahr rund 17 Millionen Euro“, sagt er. Mit zwei Personen sei man gerade im Gespräch. George Clooney soll aber nicht darunter sein. Eines haben der Schauspieler und er wohl gemeinsam. Sie wollen die Welt verbessern. „George Clooney hat eine tolle Einstellung zum Leben“, sagt uns der Hemdsärmelige zum Abschied.
DER GEISTERBAHNHOF
Zwei Tage später geht es dann zum zweiten "Lost Place". Diesmal mitten in Berlin selbst: Der Geisterbahnhof von Siemensstadt, der im Bezirk Charlottenburg an der Grenze zu Spandau liegt.
Früher warteten am Bahnsteig tausende Siemens-Arbeiter auf die im Fünf-Minuten-Takt verkehrende S-Bahn von und zu ihrem Arbeitsplatz. Heute herrscht hier geheimnisvolle Stille. Seit 1980 ist die Haltestelle Siemensstadt außer Betrieb. In diesem Jahr streikten die West-Berliner S-Bahnfahrer gegen die schlechten Arbeitsbedingungen. Ihr Arbeitgeber, die Reichsbahn der DDR, zog Konsequenzen und stellte den Verkehr auf mehreren Strecken ein. Eine der ersten Streckenabschnitte, die davon betroffen waren, war die S-Bahn Siemensstadt. Seit 38 Jahren holt sich im Bahnhof und rund um ihn herum die Natur nun langsam alles wieder zurück, was sie einmal hergeben musste.
Wir laufen unter einer unscheinbaren rostigen Zugbrücke entlang einer verkehrsreichen Straße hindurch und nehmen den Bahnhof wohl gar nicht erst wahr, hätten wir nicht gezielt nach ihm gesucht. Vor dem ehemaligen Eingang steht ein umgerissener Bauzaun, die Türen und Fenster sind mit Brettern provisorisch zugenagelt. Wir sehen keinen Ein- oder Aufgang. Um trotzdem irgendwie nach oben zu kommen, fragen wir an einem Pförtnerhäuschen eines benachbarten großen Unternehmens nach, wie man das anstellen könne. Als wäre der Geisterbahnhof erst gestern dort gebaut worden, bekommen wir zur Antwort, dass man dies auch nicht wisse.
Um auf den Geisterbahnhof zu gelangen, müssen wir über ein paar höhere, eingedrückte Zäune steigen. Ganz einfach ist es aber nicht. Hinter den Absperrungen wartet eine Böschung mit Schutt und Ästen darauf, erklommen zu werden. Hier ist Vorsicht geboten, denn es liegen überall benutzte Spritzen herum. Oben angekommen, steht man auf den Gleisen, die nach einigen Metern in einem kleinen Wäldchen mitten auf der Brücke enden. Der Bahnsteig ist mehr als stark heruntergekommen. Das einzige, was man noch dort gelassen hat, sind ein paar Schaltkästen, Kabel und jede Menge Schutt. Die alte Bahnhofsuhren haben keine Ziffernblätter mehr und rosten vor sich hin. Kleine grüne Blätter und Anfänge von Mini-Bäumen bahnen sich den Weg durch die zerborstenen Betonbahnsteigflächen und vermitteln uns ein noch merkwürdigeres Gefühl als wir darüber laufen. Die Treppen, die zum Ausgang führten, wurden zugemauert. Die Häuschen, in denen früher die freundlichen Ansager saßen, sind unbegehbar. 100 Meter vor und hinter dem Bahnhof hat die Natur schon gewonnen. Die Gleise verschwinden unter Baumwurzeln und Büschen. Man kommt nicht mehr weiter.
Wir beschließen nach diesen beiden kleinen Abenteuern die Suche nach "Lost Places" in dieser Welt (noch) nicht aufzugeben. Also auf zu neuen Ufern!
Ich freue mich über deinen Kommentar!