DIE BRETAGNE IM WINTER - BIS ANS SCHÖNE ENDE DER WELT
Unser Entschluss stand schnell fest: Wir wollten dem diesjährigen Weihnachts- und Silvesterrummel aus dem Wege gehen und dazu musste ein 10tägiger Trip in eine entsprechend dafür geeignete Region in Europa her. Andrea hatte zwei Alternativen in petto: Die Camargue oder die Bretagne in Frankreich. Wir entschieden uns für die Bretonen und ihre wunderschönen Meeresküsten und altertümlichen Städte bei hoffentlich nicht allzu regnerisch-stürmischem Fotowetter. Nach insgesamt 1.150 km und knapp 11 Stunden Autofahrt vom Bodensee aus quer durch das französische Land erreichen wir das allseits bekannte Saint Malo nordwestlich am Ärmelkanal gelegen. In dieser relativ kurzen Zeit natürlich nur, weil wir nicht zu viele Pausen machen und geltende Geschwindigkeitsbegrenzungen höchstens wohlwollend zur Kenntnis nehmen. Französische Autobahnen sind gut gepflegt und stau frei, was vor allem an den Gebühren liegt, die Autobahnfahrende in Frankreich an Mautstellen entrichten. Zwischen Bodensee und St. Malo liegen ca. 85 Euro an Mautgebühren, One Way.
LE MONT SAINT-MICHEL
Als Erstes ist natürlich DAS Fotomotiv der Bretagne dran: Die berühmte und sicher millionenfach fotografierte Klosterberginsel mit ihren knapp 30 Einwohnern in der direkten Nachbarschaft zu St. Malo. Sie ist bekannt für ihre Benediktiner-Abtei aus dem 11. bis 16. Jahrhundert, in der noch heute Mönche leben und arbeiten. Doch halt! Das stimmt ja garnicht, denn dieser kleine Berg im Wasser (oder bei Ebbe ohne Wasser drum herum) liegt überhaupt nicht in der Bretagne, sondern in der Normandie. So waren wir sogar das erste Mal in unserem Leben auch in dieser französischen Region. Aber nur für diesen einen Tag. Die "Grenze" zur Bretagne verläuft tatsächlich unmittelbar westlich neben der berühmten Location längs durch das Wasser des Ärmelkanals. Der Mont-Saint-Michel liegt nur deshalb in der Normandie, weil der Couesnon als Grenzfluss zwischen Normandie und Bretagne sein Bett verlagert hat und auf der falschen Seite des Monts ins Meer fließt. Das besagt jedenfalls die landläufige bretonische Meinung.
Wir nehmen uns in fotografisch ausreichender Entfernung die charakteristische Silhouette der felsigen Insel im Wattenmeer vor, um ein Timelapse-Video davon zu machen, vor allem auch deswegen, weil die Flut jetzt kommen sollte. Schließlich herrschen in der Bucht die stärksten Gezeiten Europas. Bei Ebbe zieht sich das Meer bis zu 15 Kilometer von der Küste zurück. Die Normannen sagen, dass die danach einsetzende Flut in der Bucht „wie ein Pferd im Galopp“ auf die Küste trifft. Irgendwie waren wir aber viel zu früh dran. Eine Flut oder gar eine erste Flutwelle wie vorhergesagt haben wir nicht erlebt….. Oder wir waren einfach zu ungeduldig. So brachen wir dann unser Experiment wieder ab (weil uns auch viel zu kalt wurde) und beschränkten uns auf wunderschöne Fotoaufnahmen aus allen möglichen Blickwinkeln von der Küste aus. Beim nächsten Besuch marschieren wir über die nur von Fußgängern, Pferdekutschen und Shuttle-Bussen begeh-/fahrbaren Damm zur Insel selbst. Wenn man sich dort ganz früh morgens oder später abends aufhält, soll es dort sehr schön - auch und insbesondere zum Fotografieren - sein.
ROSA GRANITKÜSTE
Wir verlassen St. Malo zwei Tage später in westlicher Richtung und fahren die nördliche Küste entlang. In der Nähe finden wir den kleinen Ort Plougrescant, wo wir das "La Maison de Gouffre / Castel Meur" vor die Kameralinse bekommen wollen. Nach einem größeren Umweg-Fußmarsch finden wir das zwischen zwei riesigen Granitbrocken gebaute und unmittelbar am Meeresrand gelegene Haus tatsächlich. Leider stehen zwei hochmoderne Autos der Bewohner direkt davor und so müssen wir von geeigneten Fotos leider absehen.
Unser nächstes Ziel, nicht allzu weit weg von hier, ist die sog. "Rosa Granitküste" im Norden der Bretagne. Immer noch am Ärmelkanal gelegen. Dazu fährt man durch insgesamt vier ineinander verschlungene und miteinander verwobene Ortschaften quasi "in Einem": Ploumanac´h, Saint Guirec, Trégastel und Perros Guirec. Man weiß eigentlich nie so recht, wo man sich nun eigentlich genau befindet. Wir übernachten schließlich in einem kleinen netten Hotel mit steilen, engen Treppen innendrin direkt an einer ebenso kleinen, aber sehr romantischen Meeresbucht. Wir sind offensichtlich in Saint Guirec angekommen ohne es wirklich bemerkt zu haben. Dort beginnt am nächsten Morgen unser Wanderweg (auch "Zöllnerpfad" genannt, weil hier früher die Zöllner eifrig entlang patroullierten): Vom Plage de St. Guirec aus immer an der Küste entlang am schönen Leuchtturm "Phare de Men Ruz" vorbei und der Ile de Costaérés (mit Schloß) gegenüber bis hin zum Plage de Trestraou. Die gesamten 12 km laufen wir nicht komplett ab, sondern biegen vorher rechts zum Skulpturenpark im Ort Ploumanac´h ab. Wer farbige Felsen mag, findet an dieser Küste hier echt seine Erfüllung. Es gibt sie in allen möglichen Formen und Figuren, der Phantasie ist keine Grenzen gesetzt. Und dazwischen das dunkelgrün-blau schimmernde Meer mit toller weißer Gischt. Die Granitbrocken sind unserer Meinung aber nicht rosa, sondern eher braun, orange oder rostfarben. Trotzdem genial. Man muss hier wirklich hin, frühmorgens ist es ein sensationelles Gefühl!
DIE KIRCHEN
Wir sind ja wirklich keine Kirchgänger. Aber die Bretagne bietet Einiges zum Thema dieser ehrwürdigen Bauwerke. Nahezu jedes noch so kleine Dorf besitzt eine solche größere Kirche aus meist hellbraun-grau-weißem Gemäuer. Immer mit zwei spitzen oder viereckigen Kirchtürmen und vielen Verschnörkelungen daran und darum. Und oft werden sie wie ihre große vor kurzem abgebrannte, sehr berühmte Schwester in Paris "Notre Dame" genannt. Eine solche Notre Dame haben wir dann gleich zu Beginn unserer Tour in Chartres kennengelernt. Einen Abend vor Heiligabend. Und dann später noch einmal in Quimper im Westen der Bretagne. Die allerdings hatte dann spitz zulaufende Kirchtürme. Beiden war aber eines gemeinsam: Eine einzigartige farbige Lichtsshow auf die Stirnseite und Türme-Vorderseite der Kathedralen durch monsterhaft große Mehrfachprojektoren von der jeweils gegenüberliegenden Seite verursacht. Zur klassischen Musik auch noch mit und ohne Erläuterungen zur anzuschauenden Lichtgeschichte. In der schwarzen Nacht einfach fantastisch zu betrachten und zu genießen. Hierzu schau Dir als Ergänzung zu diesem Reiseblog doch bitte das kleine Bretagne-Video an, das wir zusammengestellt haben: Entweder auf unserer Webseite hier unter https://www.spicy-art.works/de/cinema/video oder direkt in unserem Videokanal auf https://www.youtube.com/spicyartworks. Innen in den Kathedralen findet man teilweise unglaublich riesige Orgeln, traumhafte Kirchenschiffe und wahnsinnige Deckenarchitektur. Was besonders angenehm ist, die Kirchen sind allesamt (fast) immer geöffnet und sogar beheizt. Eintrittsgeld wird nicht verlangt. Ein Vorbild für die anderen bekannten Kirchen in den Haupt- und Großstädten Europas. Es geht also auch so.
DIE LEUCHTTÜRME, DAS MEER UND DAS WINTERWARME WETTER
Das atlantische Meer in der Bretagne ist - im Gegensatz zum eher besinnlich-ruhigen Ärmelkanal - unberechenbar, gefährlich und wunderschön zugleich. Gerade im Winter hat dieser Küstenabschnitt einen ganz besonderen Charme. Wilde Winterstürme jagen über den Atlantik und lassen meterhohe Wellenberge an die bretonische Küste donnern. Etliche Leuchttürme lotsen kühne Seefahrer auch bei größtem Sturm um die verwinkelten Landzipfel. Wir sind davon fasziniert, wie die Türme vor der Küste den an ihren Mauern wütend emporschlagenden Wellen trotzen. Wie farbige Streichhölzer wirken sie, deren Schicksal es sein wird, dass eine letzte grosse Woge sie irgendwann einmal wegtragen wird. Das raue Klima hat die Atlantikküste geprägt. Peitschender Wind, gewaltige Unwetter und über eine Woche anhaltender Nieselregen sind im Winter keine Seltenheit. Nichts davon erleben wir jedoch in diesen Tagen. Sonne, Wind, Wolken schon, es regnet tatsächlich nur am allerletzten Abend. Und erstaunlich warm für diese Jahreszeit ist es dank des nahen Golfstroms auch noch: 12 Grad plus.
Drei dieser Leuchttürme haben wir uns zum Ziel gesetzt: Den am Pointe du Raz und den am Pointe de Mathieu, der mit einer großen, uralten und verfallenen Abtei gleich nebendran daherkommt. Und den Turm mit dem "roten Kopf" am Hafeneingang von Les Sables d` Olonne. Sein gegenüberliegender kleiner grüner und windschiefer Bruder ist eher nicht so fotografisch interessant. Alle leider ohne die riesigen Wellen, die ihn bzw. sie umschlingen sollten. Aber macht nichts. Schön anzusehen sind sie allemal. Dafür dürfen wir aber ganz frühmorgens am Neujahrstag und Andrea´s Geburtstag am "roten Leuchtturm" einen traumhaften Sonnenaufgang mutterseelenallein bei strahlend blauem Himmel erleben. Welch ein Genuss!
BRETONISCHE ORTE IN MAUERN MIT TRAUMHAFTEN ALTSTÄDTEN
Vannes, Chartres, Quimper, Dinan und Saint Malo haben uns (auch in der genannten Reihenfolge v.l.n.r.) besonders gut gefallen. Irgendwie ist der 2. Weltkrieg hier komplett vorbeigegangen (welch ein Glück!), denn die zugehörigen Altstädte, Kirchen, Burgmauern, Fachwerkhäuser, Kopfsteinpflastergassen und -wege und sonstigen Gebäude sind mehr oder weniger vollständig erhalten.
Gerade aufgestanden sehen wir, wie eine Gruppe Möwen am offenen Hotelfenster vorbeifliegt. Das Meer ist nah und seine Boten kreisen jeden Morgen über den Schieferdächern der Altstadt Quimpers – oder auf bretonisch Kemper. Als wir später auf die Strasse mit dem Fluss Odet in der Mitte kommen, strecken sich stolz die beiden spitzen Türme der gotischen Kathedrale St-Corentin im Morgenlicht. Es sieht zunächst ein wenig nach den Grachten Amsterdams aus, bevor wir dann durch die dicke Stadtmauer ins Innere der Stadt hineingelangen. Quimper, die Hauptstadt des Finistère, ist eine der sieben alten Bischofsstädte der Bretagne, die ehemalige Hauptstadt der historischen Landschaft der Cornouaille und eine reizvolle Stadt. Der schöne, großzügige Platz "Place-St-Corentin" mit seinen einladenden Cafés und dem Rathaus bildet das Zentrum der Stadt. Um ihn herum sammeln sich die größten Sehenswürdigkeiten von Quimper. Von hier aus lohnt es sich, die altehrwürdige Altstadt von Quimper mit schönen alten Fachwerkhäusern und einladenden Geschäften zu erforschen und auch das kulinarische Angebot der Markthalle zu würdigen. Aber auch Chartres, das kleinere Dinan und Saint Malo stehen diesem Ort in nichts nach. Besonderen Eindruck auf uns hat fast am Ende unserer Reise Vannes weiter im Süden der Bretagne gemacht. Dieser Stadt sollte man auf jeden Fall einen Besuch abstatten, wenn man schon in dieser Region ist.
DAS SCHÖNSTE DORF FRANKREICHS
Wir nehmen uns vor, trotz dickstem Nebels Rochefort-en-Terre aufzusuchen, das angeblich schönste Dorf Frankreichs. Etwa 35 km von Vannes entfernt. Wir finden es in der grau-feuchten Wettersuppe und parken vor den Toren des Dorfes. Als wir später durch die romantischen Gassen laufen, bestätigt sich die oben beschriebene Bewertung wirklich. Es ist - welch ein Segen - keine Ortschaft, die künstlich für Besucher und Touristen wie in anderen Ländern dieser Erde (wieder)aufgebaut wurde, sondern alles ist authentisch und echt. Es wohnen Menschen hier, überall gibt es kleine Shops, Restaurants und Läden. Sehr sauber, schnuckelig und adrett. Es lohnt sich auf jeden Fall ein Besuch. Matthias isst zum ersten Mal eine der zahlreichen französischen, zuckersüßen Leckereien, eine Art "Apfelschnecke" - frittiert und fettig, aber deliziös!! Macht satt ohne Ende ….
Als wir das sagenumwobene Chateau de Rochefort-en-Terre im Nebel fotografieren, in dem früher einmal eine Hexe mit Namen Naia gewohnt haben soll, erleben wir eine unerwartete Überraschung: Im dort integrierten Naia-Museum findet fast das ganze Jahr hindurch eine Ausstellung zum Thema "Imagination Fantasy & Vision" (www.naiamuseum.com) statt. Alles ist hier ziemlich unheimlich und ungewöhnlich. Insgesamt zeigen dort fast 80 Künstler aus der ganzen Welt ihre Werke: Bilder, Figuren, magische Maschinen, Lichtgestalten - wie vom anderen Stern. Cyberpunk, Science Fiction, Symbolismus, Fantastischer Realismus, Visionäre Kunst, Pop Surrealismus und Singular Art. "Les mémoires du futur ……erzählen uns von den Atomkriegen, den Invasionen aus dem Weltraum, der Eroberung der Galaxien, der Geburt und der Qual der Zivilisationen, die der Mensch morgen bauen wird ..." (Zitat aus einer Rezension von John Atkins´ vorausschauendem Roman aus dem Jahr 1955, in dem ein Mann aus dem Jahr 3750, der eine verlorene Bibliothek entdeckt, ab dem 20. Jahrhundert eine Reise in die Weltgeschichte unternimmt ....). Das Ganze ist einfach toll präsentiert.
GALETTES UND CREPES
Ab und zu treibt uns der Hunger und der Duft von Galettes – den typisch bretonischen, salzigen Crêpes aus dunklem Buchweizenmehl, klassisch gefüllt mit Ei, Käse und Schinken oder extravaganter mit Ziegenkäse und Honig – in eine der wirklich überall vorhandenen Crèperien. Während wir den dünnen, knusprigen Teig der Galette auf der Zunge zergehen lassen, diskutieren wir bereits, welche süsse Crêpe als Dessert folgen wird (falls der Magenumfang das überhaupt noch zulässt). Und dazu einen frisch gezapften Cidre, der gleich um die Ecke produziert wird. Der schmackhaft-säuerliche Most prickelt angenehm den Rachen herunter.
DIE BRETONEN UND DIE FRANZOSEN
Für uns beide die große und äußerst positive Überraschung an diesen Tagen und Abenden waren dann noch die Franzosen selbst, hier natürlich die Bretonen! Denn sie waren uns gegenüber nicht nur immer sehr freundlich, offen und hilfsbereit. Nein, man konnte sich tatsächlich auch mit ihnen angeregt unterhalten, obwohl wir - außer ein paar Worten - nicht französisch reden können. Denn sie sprechen nun doch (sogar freiwillig!) englisch. Dies war bei unseren europäischen Freunden im Nachbarland Frankreich ja nicht immer so. So hat das Thema EU und Globalisierung hier jedenfalls einen mehr als guten Nebeneffekt. Und der macht wirklich Spaß und Freude.
FAZIT
Es war ein interessanter, spannender und ausgesprochen ruhiger Kurzaufenthalt am Nordwestzipfel von Frankreich. Bis hin zu "Le Finistére", dem Ende der Welt, wie diese Region im Volksmund dort auch genannt wird. Mit ganz wenig Touristen, ein wenig Weihnachtsstimmung in den Städten, ohne Sylvesterknallerei. Wir kommen ein wenig verzaubert nach Hause und wissen, dass war nicht unsere letzte Tour in die Bretagne. Ach ja - nicht zu vergessen die wunderbare, typische bretonische (Marsch)Musik mit ihren Dudelsackklängen, die an Schottland und Irland erinnert.
Was wir in der kurzen Zeit nicht geschafft haben, war ein Besuch der kleinen, romantischen Ile Brehat (ohne Autos) im Ärmelkanal nördlich von Ploubazlanec und der Ile Quessant von Le Conquet aus. Auf Ouessant (übrigens auch ganz ohne Autos) endet nämlich die Bretagne. Die Insel ist der westlichste Punkt der Bretagne und Frankreichs vor der Atlantikküste, ungeschützt den Unbillen des Wetters und des Meeres ausgesetzt. Hier spielen der viel beachtete, sehenswerte französische Spielfilm "Die Frau des Leuchtturm-Wärters" mit Sandrine Bonnaire und der wenig beachtete, lesenswerte Roman "Das Meer" von Bernhard Kellermann. Und hier gelang Jean Guichard sein berühmtes Foto eines echten Leuchtturmwärters, der gerade in dem Moment vor die Tür tritt, als eine riesige Welle seinen Leuchtturm "La Jument" von hinten einhüllt. Beide Eilande stehen das nächste Mal bestimmt mit auf dem Foto- und Visitenplan.
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